Komplexneurogeriatrische Behandlung nach einer COVID-19-Erkrankung bei älteren Menschen
Wissenschaftliche Studien belegen, dass es bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu unterschiedlichen neurologischen, pneumologischen und psychiatrischen Begleiterscheinungen und Folgeerkrankungen kommen kann. Symptome sind u.a. motorische und kognitive Funktionseinbußen, Nerven- und Muskelschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen - ferner Konzentration- und Gedächtnisstörungen sowie Atembeschwerden.
Eine aktuelle Studie konnte einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen der einer SARS-CoV-2-Infektion und psychischen Störungen belegen. So zeigten Personen mit einer überstandenen COVID-19-Erkrankung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer (erstmaligen) psychischen Störung (z.B. Angststörung) in einem Zeitraum von 14 bis 90 Tagen nach der COVID-19-Diagnose. Auch zeigte sich ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Demenz und Schlaflosigkeit sowie Gangstörungen.
In der Klinik für Geriatrie- und Neurogeriatrie im AKH-Celle bieten wir ein multimodales Behandlungsprogramm für Betroffene an, die aufgrund der Auswirkungen von SARS-CoV-2/ COVID-19 erkrankt sind.
Die Behandlung erfolgt im Rahmen einer komplexneurogeriatrischen Behandlung und dauert 14 Tage.
Die Anmeldung können sie über unser Anmeldeformular selbst vornehmen oder über Ihren Hausarzt.
Es gibt derzeit noch keine etablierten Empfehlungen oder Leitlinien, jedoch orientieren wir uns an den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) bei neurologischen Erkrankungen, bei psychischen Erkrankungen an denen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde und bei internistischen Erkrankungen an denen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V.
Bei der Diagnostik berücksichtigen wir neben der SARS-CoV-2- und COVID-19-Diagnostik die diagnostische Vorgehensweise bei anderen postinfektiösen Syndromen, beispielsweise bei myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) und Fibromyalgiesyndromen (FMS). Eine zusätzliche Einteilung der biopsychosozialen Folgen einer COVID-19-Infektion nach ihrem Schweregrad dient dazu, die Konsequenzen besser einzuschätzen und die Therapieplanung zu optimieren.
Für Patienten, die einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung überstanden haben und noch in deutlich geschwächtem Allgemeinzustand sind, empfiehlt sich eine anschließende neurogeriatrische Komplexbehandlung. Diese ist speziell auf die Bedürfnisse nach der COVID-19-Erkrankung konzipiert worden und zielt auf die Wiederherstellung und Sicherung der Teilhabe am Alltagsleben ab. Ein besonderer Fokus gilt in dieser Behandlung nach COVID-19 der Verbesserung der Atemmuskelkraft, der pulmonalen Belastbarkeit sowie der psychomentalen Beeinträchtigungen und eine Reduktion der Gangstörungen und der kognitiven Beeinträchtigungen. Der Aufenthalt in der Klinik dauert insgesamt 14 Tage.
Neben Husten, Fieber und Luftnot, entwickeln 36,4% der Patienten mit einer schweren COVID-19-Erkrankung akut neurologische Symptome (McNeary L., 2020), darunter Bewusstseinsstörungen, Krampfanfälle, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie Parästhesien. Eine weitere mögliche Komplikation von COVID-19 ist das posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom (eine seltene neurologische Erkrankung, die mit einem Ödem besonders im Hinterhauptslappen des Gehirns einhergeht), das Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Krampfanfälle und Sehverlust verursacht (Wu Y, 2020).
Es wird ebenfalls angenommen, dass COVID-19 das Risiko für akute zerebrovaskuläre Ereignisse deutlich erhöhen kann. Dies bestätigten die aktuelle Studienlage sowie klinische Beobachtungen.
Eine anhaltende psychische Beeinträchtigung wird häufig nach der Behandlung auf der Intensivstation beschrieben und wird in vielen Leitlinien berücksichtigt. Eine Rehabilitation direkt im Anschluss an die Intensivbehandlung, vor allem in einer Pandemie mit erheblichen psychosozialen Auswirkungen, ist eine essentielle und notwendige medizinische Versorgung. Es werden Symptome wie Gangstörungen, kognitive Einschränkungen, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und Angstzustände bei Überlebenden nach mehreren Wochen und Monaten beobachtet. Darüber hinaus sind Pandemien mit einem hohen Maß an emotionaler Belastung in der Gesellschaft verbunden.
Die gebotene Distanz erschwert umso mehr die Wiedereingliederung und die normale Teilhabe am sozialen Leben. Denn aufgrund der Anforderungen an die Infektionskontrolle können Patienten für längere Zeit von ihren Familien getrennt werden, insbesondere, wenn sie schwer krank sind.
Alleine die Aufnahme in ein Krankenhaus mit einer COVID-19-Diagnose kann bei Patienten und Familien Überlebensängste wecken. Geschultes Klinikpersonal unter Berücksichtigung solcher Auswirkungen kann den Patienten ganzheitlich über die Zeit während und nach der Krankheit gut betreuen.
Während sich Millionen von Menschen vollständig von einer COVID-19-Erkrankung erholen, entwickeln sich in einigen Fällen, vor allem bei älteren und somit auch häufig schwer betroffenen Patienten, symptomatische Komplikationen in Form einer kognitiven und körperlichen Erschöpfung. Die komplexneurogeriatrische Behandlung bei älteren Patienten nach COVID-19-Erkrankungen konzentriert sich darauf, Menschen zu helfen, ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten nach der Krankheit wiederzuerlangen.
Das zentrale Ziel der komplexneurogeriatrischen Behandlung im AKH-Celle ist die Teilhabe am sozialen Leben. Dies erfordert stets ein multimodales Maßnahmenpaket aus verschiedenen medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapien.
Ein erfahrenes, multiprofessionelles Team und eine einzigartige interdisziplinäre Kooperation zwischen der pneumologischen Intensiv- und der neurologischen und neurogeriatrischen Behandlung bieten unseren Patienten eine optimale Post-COVID-Behandlung. Laut der aktuellen S2k-Leitlinie verkörpert die Post-COVID-Komplexbehandlung einen Grundbaustein der Gesamttherapie.
Menschen mit schweren Symptomen sowie nach einer langen Hospitalisierungsdauer benötigen multimodale Unterstützung, um sich körperlich erholen zu können.
Multimodale, multiprofessionelle neurologische, pneumologische und neurogeriatrische Behandlung von organischen wie psychischen Grund- und Folgeerkrankungen.
Dies kann Folgendes umfassen:
- Physiotherapie
- Ergotherapie
- Krankengymnastik
- Lungenrehabilitation
- Neuropsychologie und Psychotherapie
- Sprach- und Schlucktherapie
- Unterstützung der psychischen Gesundheit
- Manuelle Lymphdrainage
Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass sich einige Komplikationen wie Herz-, Nerven- oder Lungenschäden mit der Zeit bessern können, insbesondere, wenn sie sofort rehabilitiert werden. (European Lung Foundation: "COVID-19 patients suffer long-term lung and heart damage but it can improve with time: Coronavirus patients recover faster if they undergo rehabilitation as soon as possible after coming off ventilators or leaving intensive care."). Diese Erkenntnis untermauert die Notwendigkeit einer möglichst umfangreichen neurogeriatrische Komplexbehandlung bei schwer betroffenen älteren Patienten. Eine ähnliche Beobachtung zeigt sich wiederholend bei anderen viralen Infektionen sowie nach langer Intensivbehandlung. Laut der neuen S2k-Leitlinie SARS-CoV-2, COVID-19 und (Früh-) Rehabilitation vom 24.11.2020 sollen rehabilitative Behandlungsansätze bereits auf der Intensivstation zum Einsatz kommen. Außerdem soll bei (COVID-19- und) Post-COVID-19-Betroffenen mit relevanten Schädigungen des peripheren und/oder zentralen Nervensystems eine neurologisch-neurogeriatrische Frührehabilitation durchgeführt werden. Diese schließt fallbezogen auch eine prolongierte Beatmungsentwöhnung (Weaning) ein. In einer Pandemie ermöglicht diese koordinierte Zusammenarbeit einen kürzeren Krankenhausaufenthalt für den Patienten und entlastet somit die Kapazitäten der Intensivversorgung.
COVID-19 kann den Körper auf verschiedene Weise beeinflussen. Während 81% der Menschen an leichten bis mittelschweren Symptomen leiden und sich ohne Behandlung erholen, entwickeln 14% der Erkrankten schwere Symptome, die mehrere Wochen oder Monate anhalten können. Menschen, die sich von einer schweren Krankheit erholen oder lange an COVID-19 leiden, müssen rehabilitiert werden, um die Nachwirkungen dieser Erkrankung zu minimieren. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören dazu:
- Gangstörungen
- Polyneuropathie (CIP)
- Lungenschäden und Lungenembolie
- Herzschäden oder Entzündungen wie Myokarditis oder Perikarditis
- kognitive Beeinträchtigungen (Gedächtnis und Konzentration)
- Gerinnungsstörung
- dauerhafte Auswirkungen von Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall
- Angst, Depression oder Trauma
- Muskel- oder Gelenkschmerzen
- chronische Müdigkeit/Fatigue
- Delir
Bei Personen, die während der Behandlung mit COVID-19 eine Beatmung benötigten, können weitere Komplikationen wie Delir oder Verletzungen der Atemwege auftreten. Anhaltende Müdigkeit oder längere Aufenthalte auf einer Intensivstation können die Muskeln und die versorgenden Nerven aufgrund der längeren Ruhezeit ebenfalls schwächen.
Eine typische Diagnose bei Patienten mit schwerem Influenza- bzw. COVID-19-Verlauf ist die sogenannte Critical-Illness-Polyneuropathie, eine periphere Nervenschädigung, die im Rahmen einer andauernden Sepsis, eines Multi-Organ-Versagens oder einer Langzeitbeatmung auftritt. Die Erkrankung wird durch Atemgymnastik und Physiotherapie behandelt.
Je eher die komplexgeriatrische Behandlung beginnt, desto größer sind die Chancen, verlorengegangene Fähigkeiten wiederzuerlangen.
Körperliche Rehabilitation
- Physiotherapie kann Menschen mit verminderter Kraft helfen, sich mehr zu bewegen und allmählich ihre Ausdauer aufzubauen.
- Laut einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit (Yuetong Zhu, 2020) zielt die Physiotherapie für diejenigen, die sich von COVID-19 erholen, auf Folgendes ab:
- Wiederherstellung der motorischen Funktion (Muskeln & Nerven)
- verringerte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten psychischer Erkrankungen aufgrund eingeschränkter Mobilität.
- Patienten unterstützen, zeitnah in ihr normales Leben zurückzukehren
Eine Physiotherapie umfasst Folgendes:
- frühere Mobilisierung bis hin zur bestmöglichen Selbstständigkeit
- Gangtraining und Koordination
- Kraft- und Gleichgewichtstraining
- passive und aktive Gelenkbewegung und gezielte Übungen
- Trainingseinheiten, die der Patient im Bett oder am Bett machen kann
- Schluckstörungsdiagnostik und -therapie
- Atemphysiotherapie
- Kurzatmigkeit reduzieren
- Verbesserung der Lungenkapazität
- Behandlung von Komplikationen der Atemwege
- Verringerung der Auswirkungen von Atemwegsbeschwerden auf die psychische Gesundheit
Diagnostik:
- Ausführliche Lungenfunktionsanalyse
- Blutgasanalyse
- Belastungsuntersuchung
- Pneumologische Konsiliaruntersuchung
- gegebenenfalls bildgebende Verfahren (Röntgenbild, CT,CTA)
- Pneumologische Statuserhebung, wenn erforderlich
- EEG/NLG/EMG/SEP/VEP/AEP
- Ultraschalluntersuchungen der Hals-und Hirngefäße
- Autonome Testungen
- Perimetrie
- FEES-Untersuchung bei Schluckstörungen
Uns stehen alle diagnostischen Möglichkeiten des Hauses zur Verfügung
- Neuropsychologische Einzelbetreuung
- Gedächtnistraining
- Training der Aufmerksamkeit, Reaktionsverhalten und Exekutivfunktionen
- Schmerztherapie im Rahmen einer komplexneurogeriatrischen Behandlung
- Betroffene erhalten neben der medikamentösen Therapie neuropathischer bzw. somatischer Schmerzen eine multimodale Schmerztherapie bestehend aus Ergo-, Physio-, physikalischer und kognitiver Verhaltenstherapie sowie pneumologischer Mitbehandlung.